Der Begriff „Fachkräftemangel“ geistert seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten durch die Medien: Warum fehlen so viele Fachkräfte und welche Antworten haben Wissenschaft und Wirtschaft? Im September 2022 luden wir im Rahmen des Festivals FAQ Bregenzerwald zum Austausch rund um das Thema „Fachkräfte“. Das period. Symposium ist ein Format, bei dem etwa 20 Personen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenkommen, um ergebnisoffen zu diskutieren und sich auszutauschen.
Im September 2022 standen vor allem folgende Fragen im Mittelpunkt der Diskussion: Wie können alternative Zeit- und Arbeitsmodelle dem Fachkräftemangel entgegenwirken? Wie können innerhalb eines Unternehmens Maßnahmen ergriffen werden, um neue Fachbereiche zu erschließen? Welche Best-Practice Modelle liefert die heimische Wirtschaft in Hinblick auf Weiterbildungsmöglichkeiten im eigenen Betrieb?
Expert:innen, Wissenschaftler:innen, Coaches und Unternehmer:innen gaben uns einen umfassenden Einblick in ihre Auseinandersetzung mit einem sich stark veränderten Arbeitsmarkt und lieferten Antworten zum Umgang mit dem Fachkräftemangel.
Die wissenschaftliche Perspektive: Digitalisierung und ungenutzte Potentiale als Antwort auf den Fachkräftemangel
Sabrina Spies, Senior Researcher im Bereich Internationale Sozialpolitik am WifOR in Berlin brachte zum Start des Symposiums eine wissenschaftliche Perspektive auf die Agenda: Aktuelle Herausforderungen für den Arbeitsmarkt bzw. potentielle Ursachen für den Fachkräftemangel - von Globalisierung bis Digitalisierung - wurden eruiert. Ein genauerer Blick auf den österreichischen Arbeitsmarkt zeigte, dass ganze 83% der heimischen Unternehmen Probleme haben, geeignete Fachkräfte zu rekrutieren. Sowohl Digitalisierung als auch ungenützte Potentiale (Frauen, Migrant:innen, Senior Talents) können eventuell Antworten auf diese großen Fragen liefern.
Employer Branding im Wertewandel: Wie Unternehmen Mitarbeiter:innen an sich binden können
Johannes Berger, Leiter des Personalwesens bei Rupp, sprach darüber, was aus seiner langjährigen Erfahrung heraus erfolgreiches Employer Brandung ausmacht. Er prägte mit seiner Präsentation das Sprachbild des „Bauchladens“: Unternehmen, die versuchen, Arbeitskräfte mit möglichst vielen Goodies zu gewinnen und an sich zu binden, würden den falschen Weg gehen. Viel mehr gehe es um Werte und eine klare Positionierung des Unternehmens nach außen und nach innen. Den eigenen Mitarbeiter:innen zu ermöglichen, neue Qualifikationen zu erwerben, ist für ihn ebenso essentiell wie ein leichterer Zugang zur Rot-Weiß-Rot Karte - um auch um Fachkräfte aus dem Ausland werben zu können.
Generationenwechsel als Chance: Mit neuen Impulsen Fachkräfte binden
Als Best-Practice-Beispiel für erfolgreiches Recruitment von Fachkräften luden wir Sabrina Österle und Tobias Sutterlüty ein. Als Vertreter:innen der Dachdeckerei / Spenglerei Rusch sprachen die beiden über die Veränderungen, die der letzte Generationenwechsel mit sich gebracht hat. Mit neuen Impulsen und Angebote für die Belegschaft schaffte man es, eine Kündigungswelle abzuwenden und sich als attraktiver Arbeitgeber für junge Arbeitnehmer:innen zu positionieren. Flexible Arbeitszeiten, flache Hierarchien, Diskussionen auf Augenhöhe und Investment in digitales Employer Branding zeigten Wirkung.
Die Perspektive der Arbeitnehmer:innen: Der Mensch im Zentrum
Die Organisationsberaterin Andrea Gutmann (plan a) brachte die Perspektive der Arbeitnehmer:innen ein: Was wird vom Arbeitgeber erwartet? Wie können Interessen, Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigt werden? Von rationalen Gründen, sich für einen Job zu entscheiden (wie die Höhe des Gehalts, Möglichkeiten zur Vereinbarkeit etc.) bis hin zu normativen (wie geteilte Werte mit dem Unternehmen) gab uns die Beraterin die Möglichkeit, von vielen Seiten auf Gründe für Jobentscheidungen zu blicken.
Wie man junge Talente für Projekte begeistert: Intrapreneurship als neues Konzept
Die Freiheiten des Unternehmer:innentums gebündelt mit der Sicherheit einer Anstellung: Geht nicht - oder doch? Eva-Maria Feuerstein (Rhomberg) präsentierte die TalentZone, die ein Konzept erprobt, das die Vorteile dieser unterschiedlicher Welten zusammenbringt. Als Antwort auf die Frustration vieler junger Menschen mit traditionellen Rollenbildern und Aufgaben von Bürojobs ermöglicht die TalentZone ein hohes Maß an kreativen Arbeiten, viel Freiheit und das zugehörige Ökosystem, um neue Projekte und Ideen auf den Weg zu bringen. Ein Modell, das Unternehmen in Zukunft dabei helfen könnte, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten.
Gastronomie, radikal anders: Das Biohotel Schwanen
Besonders groß ist der Fachkräftemangel in der Gastronomie: Vielerorts wird händeringend Personal gesucht. Nicht so im Biohotel Schwanen: Hier steht unter der Leitung von Emanuel Moosbrugger das Team voll und ganz im Zentrum. Der Betrieb ist auf die Mitarbeiter:innen abgestimmt, nicht umgekehrt. Gemeinsam werden Themen wie Gesundheit, Solidarische Landwirtschaft oder Mindfulness erörtert und in den Betrieb eingebracht. Als Best-Practice-Beispiel liefert das Biohotel Schwanen der Gastronomiebranche einige spannende, radikal neue Ansätze.
Wertewandel, Arbeitnehmer:innenmarkt, Digitalisierung: Wem das Recruiting von Fachkräften gelingt
Neben den Impulsen der Expert:innen wurden beim Symposium im Bregenzerwald vielfältige Perspektiven eingebracht: In einer Runde von 20 Personen wurde über unterschiedliche Aspekte von Recruiting und Fachkräftemangel diskutiert. Ein weitgehender Konsens herrschte darüber, dass Werte für Mitarbeiter:innen wichtiger seien als „Goodies“ wie Fitnesscentermitgliedschaft oder ähnliches. Die Möglichkeit zur Weiterbildung, gute Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexible Arbeitsmodelle und echte Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeiter:innen wurden als relevante Aspekte diskutiert. Auch die Erwartungen der Gen Z an den Arbeitsmarkt wurden besprochen, und der Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmer:innenmarkt. Die Diskussion endete mit vielen neuen Impulsen und der kollektiven Feststellung: Wer als Unternehmen neue Wege geht - sei es in Sachen Arbeitsmodelle, Rollen, Hierarchien oder Wertekanon - wird es wohl leichter haben mit dem Thema Fachkräfte.
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